Eine Einordnung durch den HIV
Eine zentrale Aufgabe des Kantons ist es, die Verkehrs- und Siedlungsentwicklung aufeinander abzustimmen und vorausschauend zu planen. Damit wirkt er Verkehrsproblemen und Zersiedelung entgegen - ineffiziente Strukturen mit hohen Folgekosten werden verhindert. Als Instrument dienen dazu die Regionalen Gesamtverkehrs- und Siedlungskonzepte (RGSK) sowie die Agglomerationsprogramme (AP), welche in regelmässigen Abständen überprüft, angepasst und letztlich genehmigt werden. Der HIV ordnet das aktuelle Konzept mit Fokus Verkehr in der Region Bern-Mittelland ein.
Die Erarbeitung der kommenden RGSK begann 2022 und wird im Frühling 2025 durch den Kanton als teilregionale Richtpläne genehmigt. Die Region Bern-Mittelland und insbesondere die umliegenden Gemeinden sind durch das seit Jahren zunehmende Verkehrsaufkommen – auch wegen des vorliegenden Bevölkerungswachstums, das ebenfalls in den kommenden 20 Jahren zu erwarten ist – entlang den stark belasteten Verkehrsachsen in ihrer Verkehrs- und Aufenthaltsqualität beeinflusst.
Die verfolgten Bestrebungen für mehr ÖV- und Veloverkehr im urbanen Gebiet stützen die Grundziele der vorhergehenden Konzepte. Diese ersten positiven Entwicklungen begrüsst der HIV. Es ist aber bemerkenswert, dass sich die Tendenz nur für das urbane Gebiet, namentlich das Kerngebiet der Stadt Bern oder nähere umliegende Gemeinden wie Ostermundigen bewahrheitet. Ausserhalb greifen die Bestrebungen offensichtlich (noch) nicht – je nach Regionen sind die Gründe dafür mannigfaltig. Dazu zählen können lange Wegdistanzen, fehlende oder zu wenig effiziente Anschlussmöglichkeiten beim ÖV. Für diese Vermutung spricht auch die im Bericht erwähnte Zunahme des Freizeitverkehrs, die sich auf die Auslastung des MIV-Verkehrsnetzes auswirkt. Dies macht deutlich, dass die verfolgte Strategie zu kurz greift. Das Verkehrsverhalten der Personen «ausserhalb des Kerngebiets» ändert sich nicht wie angestrebt. Ohne geeignetes Infrastrukturangebot ist dies auch in Zukunft nicht zu erwarten.
Der Bericht hält als Herausforderung weiter fest: «Die zentrale Herausforderung besteht im Umgang mit der prognostizierten Verkehrszunahme beim MIV, wobei hier immer das Ziel sein soll, eine Verlagerung und das Vermeiden von MIV-Fahrten mit der Schaffung attraktiver Velorouten und ÖV-Angebote zu erreichen». Diese Aussage ist aus Sicht der HIV stossend. Die Bedürfnisse sind regional sehr unterschiedlich. In gewissen Regionen ist es schlicht unmöglich, sich ausschliesslich mit dem Velo oder dem ÖV fortzubewegen. Diesem Umstand ist zwingend Rechnung zu tragen und es sind Lösungen für alle zu finden. Im Sinne eines regionalen Gesamtkonzeptes begrüsst der HIV, dass Verkehrsdrehscheiben geschaffen werden sollen. So können die Strassen in den Gemeinden entlastet werden. Zur Entlastung der Stadt und der umliegenden Gemeinden muss der Durchgangsverkehr zwingend über die Nationalstrassen geleitet werden.
Damit dies gelingt, braucht es neben lokalen und regionalen Massnahmen auch auf nationaler Stufe eine Weiterentwicklung der bestehenden Infrastruktur an die aktuellen und künftigen Anforderungen. So hat der Bundesrat im Rahmen des strategischen Entwicklungsprogramms (STEP Nationalstrassen) einen Verpflichtungskredit für die Nationalstrassen beantragt. Das Parlament hatte Ende September 2023 beschlossen, die Autobahnen an sechs neuralgischen Stellen für 5,3 Milliarden Franken auszubauen – zwei davon betreffend den Kanton Bern. Östlich von Bern soll die A1 im Grauholz auf acht Spuren und zwischen Schönbühl und Kirchberg auf sechs Spuren ausgebaut werden. Weitere Projekt gibt es in der Westschweiz, Basel, St. Gallen und Schaffhausen. Gegen den Parlamentsbeschluss hat eine Allianz von Umweltverbänden das Referendum ergriffen und im Januar 2024 erfolgreich eingereicht. Die Volksabstimmung findet voraussichtlich im kommenden Herbst statt. Die geplanten Ausbauschritte sind aus Sicht des HIV richtig und wichtig. Denn zusammenfassend bedingt die erfolgreiche Umsetzung der RGSK zwingend auch die gezielten Erweiterungen des Nationalstrassennetzes.