Neue Steuerstrategie im Kanton Bern
Das bernische Steuergesetz bestimmt seit 2014, dass der Regierungsrat die Ziele der kantonalen Steuerpolitik in einer Steuerstrategie festzulegen hat. Die Steuerstrategie soll gleichzeitig aufzeigen, wie und in welchem Zeitraum die festgelegten Ziele – das heisst unter anderem die notwendigen Steuersenkungen - verwirklicht werden sollen. Der Regierungsrat hatte im Jahr 2016 erstmals einen solche Strategie verabschiedet. Da deren Umsetzung mit der Ablehnung der Steuergesetzrevisionen 2019 durch das Stimmvolk leider scheiterte, war die Strategie ebenfalls Makulatur. Nun nahm der Regierungsrat mit der Steuerstrategie 2023 einen neuen Anlauf. Diese soll dem Grossen Rat in der Frühlingssession 2024 zur Kenntnisnahme unterbreitet werden. Sie sieht vor, dass sich der Kanton Bern bei der Steuerbelastung für natürliche und juristische Personen in Richtung Mittelfeld der Kantone bewegt. Dazu definiert die Regierung Ziele und Stossrichtungen, was das für die steuerpflichtigen Personen konkret in den kommenden Jahren heissen wird. Die Berner Wirtschaft hat dazu mit dem HIV-Sektionspräsidenten von Thun, Grossrat Carlos Reinhard, welcher auch als Mitglied der vorberatenden Finanzkommission amtiert, nachstehendes Interview geführt.
BW: Der Regierungsrat möchte die natürlichen Personen bis ins Jahr 2030 im Umfang von rund 200 Mio. Franken entlasten. Halten Sie das für genügend?
CR: Nein, es ist zwar besser als nichts bzw. ein Schritt in die richtige Richtung. Man wird damit aber schätzungsweise immer noch gut 10 Prozent über dem schweizerischen Mittel liegen. Es ist immerhin zu bedenken, dass die Steuereinnahmen für den Kanton Bern in den letzten Jahren höher gewachsen sind, als die jährliche Wirtschaftsleistung.
BW: Die in Rede stehenden 200 Mio. Franken sollen offenbar nicht als kantonale Anlagesenkung, sondern im Rahmen der Steuergesetzrevision 2027 auch zur Glättung der Progression bei tiefen Einkommen eingesetzt werden (Tarifkorrektur). Bringt das etwas im Steuerwettbewerb und was halten Sie davon, dass zusätzlichen Personen dann quasi steuerbefreit als «Nuller» resultieren?
CR: Wir schauen mal, was der Regierungsrat mit der Steuergesetzrevision 2027 genau vorschlägt. Grundsätzlich ist es aus demokratiepolitischen Gründen abzulehnen, wenn sich viele Leute nicht mehr an den finanziellen Lasten des Staates beteiligen und dann bei Volksabstimmungen Kredite beschliessen, welche andere zu bezahlen haben. Ansonsten wird der Prozess, dass immer weniger für die Gesellschaft etwas leisten, noch beschleunigt. Schon jetzt erkennen wir einen politischen Graben zwischen den Leistungserbringer und Leistungsbezüger. Die Folgen davon sieht man zurzeit in Deutschland exemplarisch genau.
BW: Bis im Jahr 2027 möchte der Regierungsrat zusätzliche Mittel von rund 100 Mio. Franken für Steueranlagesenkungen bei den juristischen Personen verwenden? Kann der Kanton Bern dadurch seine «rote Laterne» abgeben?
CR: Ich gehe eher nicht davon aus, weil im Moment gemäss dem Steuermonitor von HIV und KPMG nur die Kantone Zürich und Tessin maximale Gewinnsteuersätze im Bereich von 19-20% aufweisen und alle anderen Kantone ziemlich Abstand haben. Auch ist es so, dass bis der Kanton Bern eine Steuersenkung beschlossen hat, die anderen Kantone nicht einfach stillstehen.
BW: Der HIV hat in seiner ersten Stellungnahme das klare Bekenntnis der Regierung, dass hinsichtlich der Steuerbelastung von natürlichen und juristischen Personen akuter Handlungsbedarf besteht, begrüsst. Gleichzeitig vermisst der HIV die Skizzierung einer beherzteren Vorgehensweise, die auch konkrete Massnahmen auf der Ausgabenseite einschliesst. Braucht es auch aus Ihrer Sicht Massnahmen zur Ausgabenreduktionen, um notwendigen Handlungsspielraum zu gewinnen?
CR: Ja. Ansonsten kommt der Kanton Bern trotz klar ausgedrücktem Willen der Regierung kaum von Fleck. Nicht zu vergessen ist auch, dass wir immer noch zu stark von Gewinnausschüttungen der Nationalbank und dem Finanzausgleich abhängig sind. Deshalb: In guten Zeiten soll der Kanton Schulden abbauen und in schlechten Zeiten die grossen Investitionen tätigen. Ebenfalls ist es davon abzusehen, immer mehr Ausgaben in den kaum nachhaltigen Konsum zu stecken. Auch sollte eigentlich die teure Digitalisierung dazu führen, dass die Bürokratie und Personalaufwand verkleinert werden sollte. Dies ist aber momentan leider nicht erkennbar.
BW: Was ist Ihre Prognose? Akzeptiert der Grosse Rat dieses doch eher bescheidene Paket ohne Murren, dass heisst ohne entsprechende kritische Planungserklärungen zum Bericht?
CR: Ja, ich gehe im Wesentlichen davon aus. Auch eine Rückweisung, die ganz oder teilweise erfolgen könnte, erwarte ich nicht. Bestärkt wird diese Einschätzung, dass in diesem Jahr keine kantonalen oder nationalen Wahlen anstehen.
BW: Haben wir etwas Wichtiges noch nicht gefragt?
CR: Eigentlich sollte man wirklich einmal eine Auslegeordnung erstellen, welche Dienstleistungen der Kanton Bern uns Bürgerin und Bürger zur Verfügung stellt und welche davon "nice to have" sind. Neue Dienstleistungen werden schnell eingeführt. Nicht mehr notwendige Strukturen sind kaum abbaubar. Deshalb kann der Weg nur sein: Schuldenabbau durch nicht Budgetierung der Nationalbankgewinne und stetige Reduktion der Bürokratie.
BW: Herzlichen Dank für das Interview und alles Gute für die kommende Session.
HIV-Sektionspräsident und Grossrat Carlos Reinhard