Claire & George: Eine Idee, die die Welt verbessert

Seit gut 10 Jahren setzt sich die Stiftung Claire & George dafür ein, barrierefreie Reisen für Menschen mit Pflegebedürfnissen zu ermöglichen. Aus einer persönlichen Erfahrung heraus entstand die Idee, Spitexpflege- und Hotelleriedienstleistungen zu kombinieren. Was als Pilotprojekt begann, hat sich zu einem umfassenden Service entwickelt, der weit über die Reiseorganisation hinausgeht. Kurz: Claire & George ermöglicht es Menschen, trotz Einschränkungen selbstbestimmt zu reisen.

Claire & George ist eine private Non-Profit-Stiftung in Bern. Seit der Gründung im Jahr 2013 engagiert sich die Organisation für individuelle Ferien für alle – unabhängig von Alter oder Behinderung. Dazu arbeitet sie mit Hotels, Tourismuspartnern und Dienstleistern vor Ort zusammen, um barrierefreie Ferien, Erholung und Entlastung zu gewährleisten. Doch wie genau funktioniert das und was bedeutet es eigentlich, «barrierefreie» Ferien zu organisieren? Wir sind mit Geschäftsführerin Susanne Gäumann und Esther Schönenberger Bloch, verantwortlich für Partnerschaften und Projekte, zusammengesessen und liessen sie aus dem Nähkästchen plaudern.




Wenn Reisen schwierig wird

Ferien sind eigentlich nichts Kompliziertes – oder sollten es zumindest nicht sein. Doch sobald eine Person aufgrund ihres Alters nicht mehr gut zu Fuss ist, aufgrund einer Angststörung nicht in einem vollen Speisesaal essen möchte oder im Rollstuhl sitzt, wird’s schwierig. Susanne Gäumann war selbst auch von einer solchen Situation betroffen, als sie versuchte, ihrer reisefreudigen, aber pflegebedürftigen Mutter das Reisen weiterhin zu ermöglichen. «In dem Moment, als meine Mutter Spitex benötigte, wurde das Reisen schwierig. Meine Idee war also: wieso nicht das Spitex-Netzwerk mit dem Hotellerie-Netzwerk verbinden und so eine neue Dienstleistung schaffen?» Die Berner Zeitung betitelte diesen Gedanken einige Jahre später als «Idee, die die Welt verbessert». Aber beginnen wir von vorne.

Erste Schritte

Zwischen 2011 und 2013 entwickelte Gäumann den Businessplan, 2013 konnte die Dienstleistung national eingeführt werden. Die Stiftung fungiert als One-Stop-Shop für barrierefreie Ferien, bei dem Kunden ihre Bedürfnisse äussern und die Stiftung die gesamte Organisation übernimmt. Von der Buchung und Beratung bis zur Bereitstellung von Hilfsmitteln und Transport – alles wird sorgfältig geplant, um den Kunden ein sorgenfreies Reiseerlebnis zu ermöglichen. «Wir hatten den Businessplan und dachten, wir könnten als spezialisiertes Reisebüro agieren. Aber schnell merkten wir, dass es noch viel mehr Fragen gab, die wir beantworten mussten», erläutert Gäumann. So begann Claire & George zusammen mit Partnern weitere Projekte rund Barrierefreiheit zu lancieren.




Entlastung für jede Situation

Heute bietet Claire & George eine Vielzahl von Dienstleistungen an, die weit über die reine Reiseorganisation hinausgehen und der individuellen Situation Rechnung tragen. Dazu gehören die Bereitstellung von Hilfsmitteln wie Duschrollstühle genauso wie die Organisation von Ausflügen und Touren sowie spezielle Angebote wie Spazierbegleitungen. Besonders ausländische Gäste schätzen diesen umfassenden Service, da sie oft wenig Erfahrung mit den barrierefreien Möglichkeiten in der Schweiz haben. So organisiert sie beispielsweise für eine ausländische Familie, die mit einem Rollstuhlfahrer und drei Kindern reist, ein massgeschneidertes Reiseerlebnis. «Für sie ist das ein wahnsinniger Luxus», sagt Gäumann. «Sie erleben das Beste der Schweiz, ohne sich um die vielen organisatorischen Details kümmern zu müssen.» Dazu hat Claire & George ein beeindruckendes Netzwerk und Partnerschaften aufgebaut. So hat die Stiftung etwa mit Hotelleriesuisse, Pro Infirmis und Fachpartnern – unterstützt von Innotour, dem Tourismus-Förderprogramm vom SECO – eine Initiative umgesetzt, die 500 Schweizer Hotels mit barrierefreien Zimmern erfasste. Diese Datenbank schlug gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie ermöglicht es Claire & George, ihren Kunden eine breite Auswahl an barrierefreien Unterkünften zu bieten und gleichzeitig die Branche für die Bedürfnisse ihrer Gäste zu sensibilisieren. Gäumann betont: «Unser Ziel ist es, dass Menschen reisen können, wie sie es früher getan haben, trotz ihrer Einschränkungen. Wir wollen, dass niemand aufgrund von Pflegebedürftigkeit oder Behinderung auf Urlaub verzichten muss, weil es dadurch zu kompliziert oder zu teuer ist.»

Woher Geld und Geist kommen

Stichwort «teuer»: Barrierefreiheit wird oft mit Komplexität in Verbindung gebracht, und Komplexität mit hohen Kosten. Woher kommt also das Geld? «Die Stiftung hat kein grosses Kapital im Hintergrund. Sie finanziert sich durch Kommissionen, Kooperationen mit Tourismus-Partnern, Projektbeiträgen der öffentlichen Hand sowie projektbezogene Zuwendungen von privaten Stiftungen», so Gäumann. Hinzu kommt ein Unterstützungsfonds aus dem Erlös von Projekten wie der Jubiläums-Seife «Essences de Vacances», mit denen Gäste mit kleinem Budget auch finanziell entlastet werden können, etwa um krankheitsbezogene Mehrkosten zu decken, die nicht von der Krankenversicherung übernommen werden, wie Transporte oder Spazierbegleitungen. Um die Kosten für die Kunden so gering wie möglich zu halten, arbeitet die Stiftung dabei eng mit Freiwilligenorganisationen wie dem Entlastungsdienst Schweiz. «Klar, komplett lassen sich die Mehrkosten nicht vermeiden. Aber wenn wir durch unser Netzwerk eine Spazierbegleitung für 30 bis 50 Franken pro Stunde statt 120 organisieren können, ist das für die Gäste schon eine grosse Erleichterung. Denn Ferien, dazu noch in der Schweiz, sind für viele ein grosser Posten im Budget.» Eine Herausforderung bleibt deshalb, finanzielle Unterstützung zu finden, insbesondere für ältere Menschen. «Es ist für Kinder und Familien oft einfacher, Unterstützung zu bekommen», erklärt Gäumann. «Aber auch ältere Menschen haben oft einen grossen Bedarf an Unterstützung, und es ist schwierig, dafür Gelder zu akquirieren.»

Menschen wie Du und ich

Die Zielgruppen der Stiftung sind ebenso vielfältig wie ihre Dienstleistungen. «Unsere Gäste sind Leute wie du und ich», erklärt Gäumann. «Wir alle werden älter und kommen irgendwann in die Situation, dass wir vorübergehend oder permanent auf Unterstützung angewiesen sind.» Zur Zielgruppe gehören auch viele junge Menschen, die aufgrund Unfall, Krankheit oder Behinderung auf barrierefreie Angebote angewiesen sind. Die Gäste reisen meist nicht allein, also ist es ein zentrales Anliegen, auch die Angehörigen zu entlasten und gemeinsame Ferien auf Augenhöhe zu ermöglichen. Auch sie brauchen oft einen Kulissenwechsel und sind froh, wenn die Stiftung sich um das Organisatorische kümmert. Auf die Frage, was denn die grössten Erfolge der Stiftung seien, antwortet Gäumann augenzwinkernd: «Zwei davon stehen gleich hier in unserem Büro.» Damit meint sie den 2018 gewonnenen MILESTONE Tourismuspreis sowie den Design Leadership Prize «Focus Ageing Society» von 2017 – bei letzterem kommentierte die Jury treffend: «Es gibt Gegenstände und Dienstleistungen, die einem so zwingend, so vernünftig, so naheliegend und nützlich erscheinen, dass man denkt, es müsse sie eigentlich schon immer gegeben haben. In diese Kategorie gehört die Claire & George Hotelspitex.» «Es ist grossartig zu sehen, wie unsere Arbeit in der Branche Anerkennung findet», meint Gäumann. «Aber der wahre Erfolg liegt in den positiven Rückmeldungen unserer Gäste, die dank unserer Unterstützung wunderbare Ferien erleben können. Das kriegen wir sehr oft zu spüren und das macht unseren Job so grossartig.»




Zukunftsvision: Überflüssig werden

Claire & George reisst neben dem «klassischen» Reisebüro-Geschäft ungefähr im Dreijahres-Rhythmus ein neues grosses Projekt an, das dann gemeinsam mit Partnern während der gleichen Dauer umgesetzt wird. Aktuell befindet sich die Stiftung in der Umsetzung der «Accessible Switzerland Tour», die eine barrierefreie Tour durch die Schweiz ermöglicht. Inspiriert von der bekannten Grand Tour of Switzerland verfolgt das Projekt das Ziel, eine barrierefreie Reise durch die gesamte Schweiz zu ermöglichen, die möglichst autonom organisiert werden kann. «Dank unseren Informationen sollen Reisende autonom von Punkt A zu B und C gehen können, ohne sich fragen zu müssen, ob sie einen Aussichtspunkt überhaupt erreichen können, weil sie vielleicht an einen Rollstuhl gebunden sind.» Das passt zur Zukunftsvision der Stiftung, barrierefreie Angebote nahtlos in die regulären Tourismusplattformen zu integrieren und so noch mehr Menschen den Zugang zu erleichtern. «Unsere Vision ist es, dass Inklusion kein Thema mehr ist und jeder unabhängig von Alter, Gesundheitszustand oder Behinderung reisen kann», meint Schönenberger Bloch. «Im Idealfall machen wir uns irgendwann überflüssig, weil die touristische Leistungskette von der Planung und Buchung bis zum Erlebnis barrierefrei und inklusiv ist.»

Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein kontinuierlicher Ausbau des Netzwerks und der Bekanntheit zentral – und genau deshalb ist die Stiftung auch Mitglied des Handels- und Industrievereins. «Wir sind vor drei Jahren beigetreten, weil wir mit Leuten in Kontakt kommen wollten», erklärt Gäumann. «Im HIV sind zahlreiche Firmen und dadurch auch Arbeitnehmende vertreten. Und wo Menschen sind, dort kann es sein, dass jemand das Bedürfnis nach barrierefreien Ferien hat oder mehr darüber wissen will. Diesen Zugang und Austausch schätzen wir sehr.»

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